BLOG: Fachkräfte in Südniedersachsen

#61 Schlechte Arbeitsbedingungen statt Fachkräftemangel?

veröffentlicht am 07.03.2023; Autor: Benjamin Schulze

Farbenkasten

Allokation ist dann optimal, wenn der Hammer den Nagel auf den Kopf trifft und eine Schraube gedreht wird.

Fehlen tatsächlich Arbeitskräfte auf dem Markt oder verteilen sich diese nur falsch auf die Betriebe? In Deutschland haben wir so viele Beschäftigte wie noch nie zuvor und trotzdem lesen wir überall vom Fachkräftemangel. Handelt es sich nur um ein Allokationsproblem? Wir versuchen uns an einer Erklärung.

Ressourcenknappheit und Allokationsproblem

Lassen Sie uns kurz in die Theorie eintauchen: Volkswirtschaften streben stets nach mehr Wohlstand, verfügen zugleich aber über eine begrenzte Anzahl an Ressourcen, wie Arbeit, Boden oder Kapital. Das führt uns zum sogenannten Allokationsproblem: Von einer optimalen Allokation wird dann gesprochen, wenn ein möglichst kleiner Einsatz von Ressourcen (Input) einen möglichst großen Mehrwert (Output) erzeugt. Eine solche effiziente Zuteilung von Ressourcen kann über die klassischen Marktmechanismen oder staatliche Eingriffe erfolgen. Im besten Fall sortiert sich vor diesem theoretischen Hintergrund der Arbeitsmarkt im Zusammenspiel zwischen Angebot und Nachfrage. Die Annahme lautet: Meschen bieten ihre Arbeitskraft dort an, wo sie besonders nachgefragt und bestmöglich bezahlt wird und verlassen jene Berufsfelder mit Überangebot. Einige Arbeitsmarktökonomen und Arbeitsmarktökonominnen erkennen in der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt schlichtweg ein solches Allokationsproblem. Die Arbeitskraft würde sich aktuell nicht optimal in jene Bereiche „hinbewegen“, wo sie gebraucht würden. Die Gründe seien vielschichtig: schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte Gehaltsstrukturen oder schlechte Work-Life-Balance. Aus ihrer Sicht unterliege der Markt keinem Mangel an Fachkräften. Stattdessen würde es den Unternehmen nicht gelingen, ausreichend gute Angebote zu formulieren, damit sich neue Arbeitskräfte zu ihnen „bewegen“.

Perspektivwechsel löst Problem nicht auf

Die Perspektive zur Allokationsproblematik zeigt zwar Handlungsmöglichkeiten auf, gerät vor dem Hintergrund des demografischen Wandels jedoch an ihre Grenzen. Ja, Unternehmen müssen sich im Arbeitsnehmer:innenmarkt zunehmend um die Gunst von Arbeitnehmer:innen bemühnen. Gute und faire Bezahlung, Gestaltungs- und Entfaltungsmöglichkeiten, Gesundheitsmanagement, Vereinbarkeit von Beruf und Familie nehmen wichtigen Einfluss auf die Verfügbarkeit von Arbeitskräften. Denn Arbeitnehmer:innen suchen sich ihren Arbeitgeber anhand solcher Kritieren aus. Arbeitergebermarketing gewinnt an Bedeutung (lesen Sie hierzu mehr in #59). Doch: Dadurch entstehen zusätzliche Kosten bei den Arbeitgebern, die lassen sich nicht beliebig durch Preiserhöhung für Produkte oder Dienstleistungen am Markt wieder „reinholen“. Eine solche Spirale lässt sich nicht nur beim Lieblingsbeispiel „Pflege“ finden. Wer Pflegekräfte besser entlohnen oder zusätzliche Leistungen, wie eine vier-Tage-Woche, etablieren will, muss zugleich die Kosten für die zupflegende Person erhöhen. Bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Alterungstendenz sind hier ebenfalls schnell Ressourcengrenzen erreicht.

Anreize allein reichen nicht aus

Arbeitskraft ist in der realen Welt bei weitem nicht so mobil wie es die Theorie annimmt. Die meisten Berufsbiographien verraten, dass viele Menschen über Jahrzehnte im einmal gewählten Berufsfeld bleiben. Dazu kommt, dass sich Menschen nur sehr bedingt in einen, von Dritten als sinnvoll erachten Beruf, „hinbewegen“ oder kanalisieren lassen. Für eine solche „Steuerung“ braucht es mindestens überzeugende Anreize. Wenn wir mehr Lehrkräfte an den Schulen brauchen, können „Quereinsteiger:innen“ zwar die Lücken füllen, erfahren diese jedoch durch ihr Anstellungsverhältnis langfristig eine spürbare Schlechterstellung gegenüber studierten und verbeamteten Lehrkräften, dann fehlen womöglich angemessene Anreize um hier zu verweilen. Und selbst wenn die Anreize stimmen würden, wäre nicht gewährleistet, dass sich automatisch jene Menschen mit geeigneten Qualifikationen neuorientieren. Der Arbeitsmarkt unterliegt vielen Faktoren und lässt sich eben nicht optimal steuern, auch da die unterschiedlichen Arbeitsmärkte miteinander konkurrieren. Junge Menschen entscheiden sich selten anhand von Entwicklungsprognosen und Einkommensmöglichkeiten für ein Berufsfeld. Viele entscheiden sich zwischen Kopf und Bauch und vielleicht macht sie gerade das längerfristig zu besseren Fachkräften. Hingabe und intrinsische Motivation können neue Potenziale freisetzen, die sich in „zugeteilten“ Berufen tendenziell nicht entfalten. So stehen eben auch Qualität und Quantität in einem Spannungsfeld.

Automatisierung und Akademisierungstrend

Digitalisierung und Automatisierung werden dazu beitragen, dass bestimmte Tätigkeiten zunehmend durch Maschinen und künstliche Intelligenzen übernommen werden können. Sie helfen dabei unseren überalterten Arbeitsmarkt zu entspannen, aber gerade im IT-Bereichen suchen Arbeitgeber händeringend nach qualifizierten Menschen. Durch das Ausscheiden der Babyboomer (dazu mehr im Glossar unter „Generation Z“) verlassen deutlich mehr Menschen den Arbeitsmarkt als nachfolgen. Dieses Ausscheiden ist insbesondere in den nicht-akademischen Berufen schmerzlich, denn unsere Gesellschaft befindet sich seit Jahrzehnten im Akademisierungstrend. Diese politisch getriebene „Steuerung“ macht den Fachkräftemangel real. Na klar, Unternehmen müssen versuchen durch Anreize, mindestens durch angemessene Arbeitsbedingungen, gegenzusteuern. Doch sie brauchen hierbei mehr Untestützung durch Politik und Gesellschaft, von Eltern und Lehrkräften.

Fazit? Jein!

Also, fehlen tatsächlich Arbeitskräfte auf dem Markt oder verteilen sich diese nur falsch auf die Betriebe? Wir antworten mit einem klaren Jein. Denn wenig überraschend lassen sich mehrdimensionale Probleme nicht eindimensional beantworten. Beide Perspektiven vermischen sich. Wir müssen uns eben nicht zwischen Quantität oder Qualität entscheiden. Unternehmen sollten sich wohl aber fragen, ob sie sich bereits ausreichend um die Nachbesetzung bemühen – und das heißt eben nicht nur eine Stellenausschreibung schalten und auf passende Bewerber:innen warten, sondern gezielt Rahmenbedingungen zu optimieren. Dazu gehört auch selbst Ausbildungsplätze anzubieten, mit der Zeit zu gehen und sich der Umwelt auch als Arbeitgeber anzupassen. Es gilt wie sooft, schlechte Angebote halten sich langfristig nicht am Markt. Gleichsam braucht es ein breiteres gesellschaftliches Bewusstsein, dass die dauerhafte Fokussierung auf Akademisierung klassische Schwierigkeiten einer Monokultur mitsichbringt. Politisch bleibt zu klären, welche Rahmenbedingungen nötig und möglich sind, nicht zuletzt beim Stichwort Zuwanderung. Schlechte Arbeitsbedingungen, so viel steht fest, verschlechtern die Allokation von Arbeit.

Ansprechpartner:

Dr. Benjamin W. Schulze
Bereitsleiter Fachkräfte und Willkommenskultur
T. 0551/270713-43
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