BLOG: Fachkräfte Südniedersachsen

#35 Kündigungswelle trotz Fachkräftemangel

veröffentlicht am 13.07.2022; Autorin: Laura Li Stahr

Farbenkasten

Eine Kündigungswelle rollt über den deutschen Arbeitsmarkt. Und das obwohl pandemische und geopolitische Lage bei vielen Menschen mehr denn je das Bedürfnis nach Sicherheit weckt. Wie passt das mit den sich häufenden Suchanzeigen, dem Lamentieren über fehlende Fach- und Arbeitskräfte und den inflationsbedingten Preissteigerungen und erhöhten Lebenshaltungskosten zusammen? Alles nur eine Phase, Zufall oder das Aufbegehren einzelner Branchen? Wir erklären die Hintergründe zum „Big Quit„.

Von Aufgeben und Ankommen

Das seit Anfang 2021 beobachtbare Phänomen, dass Fachkräfte mitten in den Ausläufen der Pandemie, in Zeiten steigender Inflation und teilweise unstetigen Arbeitssicherheiten von sich aus kündigen, überrascht selbst ExpertInnen – doch ist das wirklich eine Entwicklung aus dem Nichts? Für einige ArbeitnehmerInnen scheinen die stetig anhaltend unbefriedigenden Arbeitsbedingungen und scheinbar stagnierenden Bemühungen um Verbesserung ausschlaggebend zu sein, für andere der Wunsch nach Veränderung oder eine Verschiebung der eigenen Prioritäten entgegen der Spirale aus Arbeitsüberlastung für mehr oder bei gleichem Gehalt und hin zur Entschleunigung. Heutzutage haben augenscheinlich auch nicht wenige Arbeitskräfte das Gefühl, im bisherigen Job wenig Sinnhaftes für das Umfeld beizutragen und resignieren aus diesem Grund.

Zukunft im Beruf – Bewerbermarkt und erhöhte Ansprüche?

Die Ergebnisse einer Studie der Beratungsfirma PWC geben Auskunft über die Wünsche und Hoffnungen von 52.000 ArbeitnehmerInnen aus über 40 Ländern hinsichtlich ihrer eigenen Vorstellungen der Zukunft im Beruf. Die Studienergebnisse unterscheiden sich nur marginal von anderen Studien. Wunsch und Wirklichkeit kommen laut der Befragung nicht überein und nicht selten sei die Wirklichkeit schuld daran.

Insbesondere in den Dienstleistungsbranchen wird Alarm geschlagen. Das ist nichts Neues, jedoch herrscht auf dem hiesigen Arbeitsmarkt keine Vollbeschäftigung  und die Kunden von Arbeitsagenturen, privaten Vermittlern und Headhunter sind sichtlich wählerischer geworden. Diese Verschiebung hin zu der Tatsache, dass BewerberInnen bei der Entscheidung über die berufliche Zukunft am längeren Hebel sitzen, führen oft zu Absagen angebotener Stellen. Bei dieser Qual der Auswahl entscheiden sich Arbeitskräfte zunehmend für jene Angebote mit den besten harten und weichen Faktoren, die im Unternehmen und weiter gedacht auch in einer Region erfüllt werden.

Generell ist der Unmut am größten bei den Faktoren unzureichender Bezahlung und Urlaubszeiten, Überlastungen, fehlender Wertschätzung, fehlender Sicherheit und wenig Mitspracherechten. Vor allem während der Corona-Pandemie hat sich eine verstärkte Unzufriedenheit bei all denjenigen gezeigt, die keine Heimarbeit leisten können. Dort fallen die Auswirkungen der Kündigungen und Umorientierungen in andere Branchen vermutlich auch am stärksten ins Gewicht.

Entscheidungen am Puls der Zeit? – Auswirkungen der „The Big Quit“-Welle

Unternehmen beginnen umzudenken. Sie nehmen nicht nur die Bedingungen sowohl innerhalb des Job-Umfeldes sondern auch die Standortbedingungen vor Ort unter die Lupe und bemühen sich um Verbesserungen, um im Wettbewerb um Fachkräfte am Puls der Zeit zu bleiben. Allein die Zugeständnisse hinsichtlich Gehalt, Benefits, Umgebung und damit verknüpften Faktoren lösen jedoch für einige nicht den inneren Konflikt. Die Erfüllung und Umsetzung eigener Werte und Ziele fallen heute stärker ins Gewicht während zuvor Jahrzehnte lang die Ausübung einer Tätigkeit gegen Bezahlung zur Sicherung des Lebensunterhaltes überwogen hat. Immer öfter entscheiden sich Erwerbstätige auch gegen die Ausübung des derzeitigen Berufes und wechseln in ein anderes Feld. Teilweise entscheiden sie sich auch für das Auswandern oder wechseln in den frühzeitigen Ruhestand.

Insbesondere letzteres führt gepaart mit dem ohnehin anstehenden Renteneintritt der Babyboomer-Generation zu einer Verzerrung in den Unternehmen, da angelerntes und routiniertes Personal auf einen Schlag fehlt und niemand neues mehr parallel eingearbeitet werden kann. Die Gefahr des Wissensverlustes ist hier sehr hoch und doch scheint es, als wäre die Motivation der Nachfolgenden merklich abgeflacht. Entscheidende Faktoren sind hierbei neben dem Gefühl der fehlenden Wertschätzung auch die mangelnde Bereitschaft seitens der ArbeitgeberInnen neue Wege zu gehen, die zu langen Vakanzen der ausgeschriebenen Stellen führen.

Eine Region im Aufbruch?

In Südniedersachsen besteht bereits jetzt ein akuter Fach- und Arbeitskräftemangel, der sich zukünftig nicht nur durch die Auswirkungen des demografischen Wandels und den Renteneintritt der Babyboomer verstärken wird. Inmitten dieser ohnehin angespannten Lage platzt nun die „The Great Quit“ Bewegung; auch wenn derzeit  noch nicht absehbar ist, wie stark der regionale Arbeitsmarkt von dieser Welle der Resignation belastet werden wird.

Sicherlich werden die Rufe nach besseren und sicheren Arbeitsbedingungen in vielen Branchen noch lauter, als sie teilweise ohnehin schon sind. Dennoch muss beleuchtet werden, ob sich nicht oftmals nur diejenigen Erwerbstätigen für eine Kündigung hin zu einem beruflichen Gap oder einer Umorientierung entscheiden, die ohnehin weich fallen und bei denen derzeit die Lust auf Abenteuer und was Neues erleben am stärksten ist.

Ein „einfach mal machen“, können sich vermutlich doch nur jene ArbeitnehmerIn leisten, die eben nicht bereits zur Mitte des Monats mit Sorge auf den eigenen Kontostand blicken. Die Verschiebung innerhalb der Erwartungen an die eigene Arbeit hinzu Erfüllung und Sinnhaftigkeit, kann auch ein verzerrtes Bild zeigen, da nicht alle in der privilegierten Lage des freien Aussuchens sind. Im Dienstleistungssektor und in der Branche der Daseinsvorsorge erreicht die Erschöpfungs- und Krankheitswelle derzeit wieder neue Höchststände und dies verstärkt das Risiko für krankheitsbedingte Kündigungen, Burnouts oder die berufliche Abwanderung aufgrund von verbesserten Bedingungen in anderen Regionen. Nicht selten kann man also hier von einer Kündigung sprechen, die nicht aus einer Laune oder basierend auf der Frage nach dem Sinn der Arbeit erfolgt, sondern aus der Not heraus.

In naher Zukunft gilt es auch hier in der Region abzuwarten, wie die Unternehmen auf den in Studien und Untersuchungen deutlich gezeigten Weckruf reagieren. Südniedersachsen ist vermutlich mit der hohen Zahl an KMU und Familienunternehmen im deutlichen Vorteil, da dort oftmals die Wertschätzung, Kinderbetreuung sowie der kurze Draht zwischen Belegschaft und Chef ausgereifter und besser organisiert sind als sie in der Anonymität der Großunternehmen verschwinden. Dennoch gab es auch hier in der Region bereits Streiks mit Forderungen nach verbesserten Bedingungen und steigenden Gehältern und derzeit spürt man den Krankheitsstand und Personalmangel plakativ durch ausfallende Buslinien, geschlossene Kita-Gruppen oder Wartezeiten bei Arztpraxen oder in Notaufnahmen. Der Wechsel vom Verkäufer- hin zum Käufermarkt hat sich vollzogen. Gut ausgebildete Arbeitskräfte können sich ihren Arbeitsplatz zunehmend frei auswählen. Das birgt für unsere Region Gefahren aber auch Chancen, die wir gemeinsam erkennen und wahrnehmen sollten.

Ansprechpartner:

Dr. Benjamin W. Schulze
Bereitsleiter Fachkräfte und Willkommenskultur
T. 0551/270713-43
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