BLOG: Fachkräfte in Südniedersachsen

#137 Wie steht es um den Fachkräftemangel?

veröffentlicht am 28.11.2024; Autorin: Ulrike Streicher 

Abbildung von Brot, Bier und Getreide

Der Fachkräftemangel in Deutschland hat sich in den letzten Jahren zu einer der zentralen Herausforderungen für Wirtschaft und Gesellschaft entwickelt. Besonders betroffen sind Branchen wie das Handwerk, das Gesundheitswesen und der IT-Bereich. Der Begriff „Fachkräftemangel“ beschreibt das Missverhältnis zwischen der hohen Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften und dem begrenzten Angebot. Diese Lücke führt dazu, dass Unternehmen Stellen oft über lange Zeiträume hinweg nicht besetzen können, was die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit massiv beeinträchtigt.

Nach aktuellen Schätzungen waren im Jahr 2023 bundesweit rund 570.000 Stellen unbesetzt, da es nicht genügend qualifizierte Arbeitskräfte gab. Besonders betroffen sind technische Berufe, Pflegekräfte und IT-Spezialist:innen. Laut einer neuen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) könnte der Fachkräftemangel im Jahr 2024 zu Produktionsverlusten von rund 49 Milliarden Euro führen. Diese Verluste entstehen, weil Unternehmen aufgrund des Arbeitskräftemangels nicht ihre volle Produktionskapazität ausschöpfen können. Der Fachkräftemangel führt zudem zu einer erhöhten Arbeitsbelastung für die verbleibenden Mitarbeitenden, die häufig Überstunden leisten müssen, um den Ausfall zu kompensieren.

Tools zur Analyse des Fachkräftemangels: Bundesländersteckbrief und interaktive Grafik des KOFA

Angesichts der gravierenden Auswirkungen des Fachkräftemangels ist es für Unternehmen und Entscheidungsträger entscheidend, die Lage genau zu analysieren. Hier bietet das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) wertvolle Unterstützung.

Das KOFA stellt zwei nützliche Analysetools bereit, die einen umfassenden Überblick über die Fachkräftesituation in Deutschland bieten:

  • Bundesländersteckbrief: Dieser Steckbrief bietet detaillierte Informationen zur Fachkräftesituation in jedem Bundesland. Unternehmen und Personalverantwortliche können so schnell erkennen, in welchen Regionen sie mit einem besonders starken Mangel an Fachkräften rechnen müssen und wo gegebenenfalls bessere Rekrutierungschancen bestehen.
  • Interaktive Grafik: Fachkräftesituation nach Beruf und Region: Mit diesem Tool lässt sich die Fachkräftesituation in verschiedenen Berufsgruppen und Regionen auf einen Blick analysieren. So können Nutzer beispielsweise herausfinden, in welchen Regionen Fachkräfte aus der Kraftfahrzeugtechnik, der Altenpflege oder dem Baugewerbe besonders gefragt sind. Das Tool hilft, gezielte Maßnahmen zur Fachkräftesicherung zu entwickeln, indem es die spezifischen Engpässe in einzelnen Berufen sichtbar macht.

Regionale Unterschiede und langfristige Prognosen

Wie die interaktive Grafik des KOFA zeigt, ist die Fachkräftesituation in Deutschland nicht überall gleich. Sie variiert stark je nach wirtschaftlicher Struktur und Demografie der Bevölkerung. In ländlichen Gebieten, insbesondere in den neuen Bundesländern, ist der Mangel an qualifizierten Fachkräften oft noch ausgeprägter als in städtischen Ballungsräumen. Während in den Großstädten durch Zuwanderung und Bildungsinstitutionen der Zugang zu Fachkräften etwas erleichtert ist, kämpfen ländliche Regionen oft mit einer Abwanderung junger, gut ausgebildeter Menschen.

Besonders betroffen sind sogenannte „Engpassberufe“, in denen Unternehmen bundesweit Schwierigkeiten haben, offene Stellen zu besetzen. Hierzu zählen unter anderem Berufe im technischen Bereich, wie Kraftfahrzeugmechaniker, aber auch Pflegekräfte und Berufskraftfahrer.

Die langfristigen Prognosen sind ebenfalls besorgniserregend. Da die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten „Babyboomer“ (mehr zu den verschiedenen Generation im Glossar), in den kommenden Jahren vermehrt in den Ruhestand gehen werden, könnte sich der Fachkräftemangel bis 2027 weiter verschärfen. Experten gehen davon aus, dass sich die Produktionsverluste bis dahin auf bis zu 74 Milliarden Euro erhöhen könnten.

Zuwanderung als ein Schlüssel zur Stabilisierung des Arbeitsmarkts

Internationale Fachkräfte sind entscheidend für die Bewältigung des Fachkräftemangels in Deutschland. Laut aktuellen Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aus dem Jahr 2024 haben 15,3 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland eine ausländische Staatsangehörigkeit, was etwa 5,3 Millionen Menschen entspricht. Diese Fachkräfte sind besonders in kritischen Engpassberufen von großer Bedeutung: Im Güterverkehr machen sie etwa 28,8 Prozent der Berufskraftfahrer aus, während im Gesundheitswesen nahezu 70.000 Pflegekräfte ohne deutsche Staatsangehörigkeit arbeiten, was 10,8 Prozent der gesamten Belegschaft in diesem Sektor ausmacht. Trotz dieser hohen Anteile bleibt ein erheblicher Teil der Stellen unbesetzt, da es nicht genügend qualifizierte Arbeitslose gibt.

Ein weiteres Beispiel ist die Softwareentwicklung, wo internationale Fachkräfte fast 23 Prozent der Beschäftigten stellen. Sie sind unverzichtbar für die digitale Transformation der deutschen Wirtschaft. Obwohl die Fachkräftelücke in der IT seit 2022 leicht zurückgegangen ist, bleiben viele Stellen weiterhin vakant, was die Dringlichkeit unterstreicht, qualifizierte internationale Talente zu gewinnen und zu halten.

Angesichts des demografischen Wandels wird die Bedeutung internationaler Fachkräfte in Zukunft noch weiter zunehmen. Um das Arbeitskräfteangebot langfristig stabil zu halten, ist eine jährliche Nettozuwanderung von mindestens 400.000 Personen erforderlich. Der Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in den letzten Jahren ist nahezu ausschließlich auf ausländische Arbeitskräfte zurückzuführen. Im Jahr 2023 wurde das Beschäftigungswachstum sogar vollständig von internationalen Fachkräften getragen, während die Zahl der deutschen Beschäftigten um 77.000 sank. Dieser Trend ist besonders ausgeprägt in den Bereichen Pflege und Transport.

Um internationale Fachkräfte langfristig in Deutschland zu halten, sind neben der Anwerbung auch geeignete Maßnahmen notwendig. Eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) aus dem Jahr 2021 prognostiziert, dass die Zahl der Erwerbspersonen bis 2040 um etwa 1,8 Millionen zurückgehen wird, wobei nur etwa jede zweite zugewanderte Fachkraft dauerhaft in Deutschland bleibt. Um diesem Trend entgegenzuwirken, werden zwei Szenarien in Betracht gezogen:

  1. Pull-Szenario: Hier wird die Zuwanderung um jährlich 50.000 Personen erhöht, wobei vereinfachte Visa-Prozesse und gezielte Rekrutierungsprogramme im Vordergrund stehen.
  2. Bleibe-Szenario: Dieses Szenario zielt darauf ab, die Abwanderung um jährlich 50.000 Personen zu verringern. Wichtige Maßnahmen umfassen die verbesserte Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen, Unterstützung bei der Integration und die Verbesserung der Lebensbedingungen.

Beide Szenarien sollen das Fachkräfteangebot stabilisieren und die wirtschaftliche Entwicklung fördern. Eine höhere Bleibewahrscheinlichkeit hat zudem einen stärkeren und unmittelbaren Einfluss auf die Bevölkerungsentwicklung.

Anpassung an den Wandel: Weiterbildung als Antwort auf den Fachkräftemangel

Ein weiterer Ansatz zur Bekämpfung des Fachkräftemangels ist die gezielte Weiterbildung der bestehenden Belegschaft. Viele Branchen befinden sich im Umbruch, insbesondere durch die fortschreitende Digitalisierung und den Übergang zu einer nachhaltigeren, grünen Wirtschaft. Etwa 30 Prozent der Beschäftigten sind an Weiterbildung interessiert, jedoch haben lediglich 6,5 Prozent konkrete Pläne dafür.

Der Zugang zu geeigneten Weiterbildungsangeboten ist besonders in Helferberufen stark eingeschränkt. Viele Beschäftigte haben oft keinen Überblick über die verfügbaren Angebote und erhalten von ihren Arbeitgebern keine Freistellung, um an diesen Maßnahmen teilzunehmen. Ein entscheidendes Hindernis stellt dabei die häufig unzureichende Grundbildung dar, die viele geringqualifizierte Arbeitnehmer mit sich bringen. Mangelnde Kenntnisse in den Bereichen Lesen, Schreiben und Rechnen erschweren den Zugang zu Bildungsangeboten erheblich.

Zeitliche Engpässe, etwa aufgrund von Betreuungspflichten für Kinder oder Angehörige, verstärken das Problem und stellen ein weiteres erhebliches Hindernis dar. Darüber hinaus sind viele Beschäftigte nicht ausreichend über die verfügbaren Weiterbildungsangebote und Beratungsdienste informiert. Dies führt dazu, dass sie die Chancen zur persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung nicht optimal nutzen können.

Um diesen Hindernissen entgegenzuwirken, werden in Deutschland vielfältige Maßnahmen im Bereich der Weiterbildung ergriffen. Es gibt bundesweite Initiativen wie die Plattform “meinNow” (mehr dazu unter #106) , auf der Interessierte gezielt nach geeigneten Weiterbildungsangeboten suchen können oder den Vorschlag der Bertelsmann Stiftung eine bis zu einem Jahr dauernde, finanzierte Bildungszeit einzuführen, die es Arbeitnehmern ermöglichen würde, sich für eine bestimmte Dauer von ihren beruflichen Verpflichtungen freistellen zu lassen, um sich weiterzubilden.

Darüber hinaus gibt es regionale Ansätze, wie die Förderung von Weiterbildungsverbünden, die sich an den spezifischen Bedürfnissen der jeweiligen Regionen orientieren. Diese Verbünde unterstützen und beraten sowohl Weiterbildungsinteressierte als auch Unternehmen und verbessern die Zugänglichkeit zu Informationen über konkrete Weiterbildungsangebote vor Ort. Durch solche Initiativen wird angestrebt, die Teilnahme an Weiterbildungen zu erleichtern und die berufliche Weiterentwicklung der Beschäftigten zu fördern.

Fazit

Der Fachkräftemangel in Deutschland ist eine tiefgreifende Herausforderung, die in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen wird. Internationale Fachkräfte sind bereits heute ein unverzichtbarer Teil des deutschen Arbeitsmarkts, und ihre Bedeutung wird angesichts des demografischen Wandels weiter zunehmen. Gleichzeitig sind umfassende Weiterbildungsangebote notwendig, um die Beschäftigten auf die Anforderungen einer digitalisierten und nachhaltigen Wirtschaft vorzubereiten. Unternehmen und Politik müssen gemeinsam Lösungen entwickeln, um den Fachkräftemangel langfristig zu bewältigen und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu sichern.

Ansprechpartner:

Dr. Benjamin W. Schulze Bereichsleiter Fachkräfte und Willkommenskultur T. 0551/270713-43 mailen

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